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Altersteilzeit – Anspruch auf Gleichbehandlung

16. April 2008

Der öffentliche Arbeitgeber ist nach dem Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeitarbeit (TV ATZ) nur „auf der Grundlage des Altersteilzeitgesetzes“ (AltTZG) verpflichtet, Altersteilzeitarbeitsverhältnisse zu begründen. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 AltTZG muss für Erstattungsleistungen der Arbeitsverwaltung die freie Entscheidung des Arbeitgebers sichergestellt sein, ob er mit über 5 % der Arbeitnehmer seines Betriebs Altersteilzeitarbeitsverträge abschließt. In die nach dem AltTZG sicherzustellende Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers darf auch durch Tarifvertrag nicht eingegriffen werden. Die Tarifvertragsparteien des TV ATZ wollen nur Ansprüche begründen, die der Arbeitgeber mithilfe öffentlich-rechtlicher Leistungen teilweise refinanzieren kann. Schließt der Arbeitgeber freiwillig mit über 5 % seiner Belegschaft Altersteilzeitarbeitsverträge, ist er an den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden.
Die 1949 geborene Klägerin arbeitet seit 1979 in dem Klinikum der beklagten Anstalt des öffentlichen Rechts. Auf das Arbeitsverhältnis finden der TV ATZ und ein Haustarifvertrag zur Beschäftigungssicherung Anwendung. Der Haustarifvertrag sieht abweichend von den Bestimmungen des TV ATZ schon für die Altersgruppe der 55- bis 59-jährigen Arbeitnehmer Altersteilzeitansprüche vor. Nachdem die Beklagte mit 6,5 % ihrer Arbeitnehmer Altersteilzeitarbeitsverträge geschlossen hatte, entschloss sie sich im Juni 2004, nur noch bis zum 30. Juni 2004 eingehende weitere Anträge anzunehmen. Eine Sachbearbeiterin der Beklagten hatte bereits im Dezember 2003 einen Altersteilzeitantrag für die Klägerin formuliert. Die Klägerin leitete der Beklagten den Antrag jedoch erst im August 2004 zu.
Die Klägerin verlangt die Verurteilung der Beklagten zur Annahme ihres Altersteilzeitangebots. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Der Neunte Senat hat das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das Landesarbeitsgericht wird aufzuklären haben, ob der Stichtag des 30. Juni 2004 den betroffenen Arbeitnehmern schon im Juni 2004 bekannt war. Sonst kann sich die Klägerin auf Gleichbehandlung berufen. Gegebenenfalls hätte die Beklagte nach sachlichen Gründen auswählen müssen (BAG, Urteil vom 15. April 2008, 9 AZR 111/07).

Quelle: Pressemitteilung 31/08 vom 15.04.2008 auf www.bundesarbeitsgericht.de

Haftung der Insolvenzmasse nach Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters

16. April 2008

Der Insolvenzverwalter war auch vor der zum 1. Juli 2007 in Kraft getretenen Änderung des § 35 InsO berechtigt, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines einzelkaufmännisch tätigen Schuldners die unmittelbar für die selbständige Erwerbstätigkeit des Schuldners benötigten Betriebsmittel aus dem Beschlag der Masse freizugeben. Wird im Zusammenhang mit einer solchen Freigabe zwischen dem Schuldner und dem Insolvenzverwalter eine den Erfordernissen des § 295 Abs. 2 InsO entsprechende Vereinbarung über abzuführende Beträge geschlossen, haftet die Insolvenzmasse nicht mehr für Ansprüche der Arbeitnehmer auf Arbeitsvergütung aus danach vom Schuldner begründeten Arbeitsverhältnissen. Diese hat allein der Schuldner zu erfüllen.
Der Beklagte wurde am 11. März 2003 zum Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners bestellt. Dieser hatte bis November 2002 eine Druckerei betrieben, die er dann stilllegte. Ab Mitte Februar 2003 setzte er seinen Druckereibetrieb fort, wovon der Beklagte Mitte Mai 2003 Kenntnis erhielt. Am 22. Mai 2003 erteilte der Beklagte dem Schuldner mit Zustimmung der Gläubigerversammlung eine „Freigabeerklärung“ hinsichtlich der von diesem benötigten Betriebsmittel einschließlich des Neuerwerbs. Eine zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt getroffene Vereinbarung entsprechend § 295 Abs. 2 InsO sah außerdem vor, dass der Schuldner monatlich 130,00 Euro an die Masse abzuführen habe. Bereits im Februar 2003 hatte der Schuldner die Klägerin eingestellt. Ihr zunächst nur bis Ende Juni 2003 befristeter Arbeitsvertrag wurde am 30. Juni 2003 durch eine neue schriftliche Vereinbarung der Klägerin mit dem Schuldner verlängert. Nachdem der Schuldner für die Monate Dezember 2003 bis Februar 2004 keine Zahlungen leistete, begehrt die Klägerin nunmehr vom beklagten Insolvenzverwalter Zahlung ihrer Vergütung.
Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Revision des Beklagten hat der Senat das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Das Landesarbeitsgericht wird aufzuklären haben, ob die den Erfordernissen des § 295 Abs. 2 InsO entsprechende Vereinbarung vor oder nach der Vertragsverlängerung vom 30. Juni 2003 zustande kam (BAG, Urteil vom 10. April 2008, 6 AZR 368/07).

Quelle: Pressemitteilung 30/08 vom 10.04.2008 auf www.bundesarbeitsgericht.de

Tarifwechsel nach Übertragung einer Krankenhausküche

16. April 2008

Bei einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang werden die in dem veräußerten Betrieb geltenden Rechte und Pflichten aus tariflichen Normen nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB Inhalt des auf den neuen Inhaber übergegangenen Arbeitsverhältnisses, wenn dieser nicht an diese Tarifverträge gebunden ist. Das gilt nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB nicht, wenn die Rechte und Pflichten bei dem neuen Inhaber durch einen anderen Tarifvertrag geregelt sind. Das setzt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die kongruente Tarifbindung voraus, dh. der andere Tarifvertrag muss kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit für das übergegangene Arbeitsverhältnis gelten. Zuvor ist aber in jedem Falle erforderlich, dass das Arbeitsverhältnis überhaupt in den Geltungsbereich des anderen Tarifvertrages fällt.
In dem heute vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall waren verschiedene Dienstleistungen für ein öffentliches Krankenhaus von einer Dienstleistungs-GmbH betrieben worden, für deren Arbeitsverhältnisse der allgemeinverbindliche Rahmentarifvertrag Gebäudereinigung galt. Zum 1. August 2004 wurde der Teilbetrieb Küchendienst auf die Beklagte übertragen, die in der zum Krankenhaus gehörenden Küche für die Verpflegung der Patienten sorgt und insoweit keine Gaststättenerlaubnis besitzt. Die Beklagte behandelt die von dem Teilbetriebsübergang betroffene Klägerin ab dem 1. Januar 2005 nach dem ebenfalls allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrag Gaststättengewerbe, der für alle Betriebe gilt, die im Besitz einer Erlaubnis nach dem Gaststättengesetz sind oder einen danach erlaubnisfreien Betrieb führen. Die Klägerin macht weiterhin Zuschläge nach dem Rahmentarifvertrag Gebäudereinigung geltend.
Das Bundesarbeitsgericht hat ebenso wie die Vorinstanzen der Klage stattgegeben. Die Tarifvertragsparteien des MTV Gaststättengewerbe haben für den fachlichen Geltungsbereich ihrer Tarifverträge die Begriffe des Gaststättengesetzes zugrunde gelegt. Eine „Speisewirtschaft“ iSd. Gaststättengesetzes liegt aber nur vor, wenn zubereitete Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht werden und der Betrieb Jedermann oder bestimmten Personenkreisen zugänglich ist. Die Beklagte betreibt keine Speisegaststätte in diesem Sinne, weil die Speisezubereitung durch das beklagten Cateringunternehmen nicht unmittelbar für die Patienten, sondern für das Krankenhauses erfolgt, das seinerseits für die Verpflegung der bei ihm untergebrachten Patienten zu sorgen hat (BAG, Urteil vom 9. April 2008, 4 AZR 164/07).

Quelle: Pressemitteilung Nr. 29/08 vom 09.04.2008 auf www.bundesarbeitsgericht.de

Außerordentliche Kündigung wegen anderweitiger Erwerbstätigkeit während der Arbeitsunfähigkeit – Betriebsratsanhörung

5. April 2008

Eine außerordentliche Kündigung kann gerechtfertigt sein, wenn ein Arbeitnehmer, während er krankgeschrieben ist, einer anderweitigen Arbeit nachgeht. Die anderweitige Tätigkeit kann ein Hinweis darauf sein, dass der Arbeitnehmer die Krankheit nur vorgespiegelt hat. Ebenso kann in solchen Fällen eine pflichtwidrige Verzögerung der Heilung vorliegen.
Der Kläger in dem heute vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall war bei der Beklagten als Kraftfahrer beschäftigt. Nachdem sich der Kläger ab Anfang März 2004 mehrfach für längere Zeiten arbeitsunfähig gemeldet hatte, stellte die Beklagte Nachforschungen ua. durch Detektive an. Nach ihrer vom Kläger in wesentlichen Teilen bestrittenen Behauptung ergaben die Nachforschungen, dass der Kläger während einer Zeit der Arbeitsunfähigkeit ein Café betrieb und dort Gäste bediente, den Geschirrspüler leerte und ähnliche Tätigkeiten verrichtete. Die Beklagte kündigte, nachdem sie den Betriebsrat mit Schreiben vom 1. Juni 2004 unterrichtet hatte, am 2. und, nachdem der Betriebsrat am 4. Juni 2004 Stellung genommen hatte, erneut am 7. Juni 2004 fristlos, hilfsweise fristgerecht. Das Landesarbeitsgericht hielt beide Kündigungen für unwirksam, weil der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden sei.
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom heutigen Tage das Urteil des Landesarbeitsgerichts, soweit es die Kündigung vom 7. Juni 2004 betraf, aufgehoben. Die Kündigung vom 2. Juni 2004 ist unwirksam, weil sie ausgesprochen wurde, bevor die gesetzliche Frist zur Stellungnahme des Betriebsrats abgelaufen war. Dagegen ist der Betriebsrat zur Kündigung vom 7. Juni ordnungsgemäß gehört worden. Die schriftliche Anhörung zu dieser Kündigung erfolgte zwar auf Grundlage desselben Schreibens wie die Anhörung zur vorausgegangenen Kündigung vom 2. Juni. Das war aber unschädlich, weil der Betriebsrat bei seiner Beschlussfassung am 4. Juni 2004 wusste, dass er zu einer noch auszusprechenden Kündigung angehört wurde und seine Rechte ungeschmälert wahrnehmen konnte. Die von der Beklagten erhobenen Vorwürfe können die Kündigung auch in der Sache rechtfertigen. Da insoweit aber keine ausreichenden Tatsachenfeststellungen getroffen sind, musste der Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückverwiesen werden  (BAG, Urteil vom 3. April 2008, 2 AZR 965/06).

Quelle: Pressemitteilung 28/08 vom 03.04.2008 auf www.bundesarbeitsgericht.de

Urheberrecht und kirchliches Selbstbestimmungsrecht

25. März 2008

Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte sich gestern (19.03.2008) mit dem Verhältnis zwischen dem Urheberrecht und dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht auseinanderzusetzen. Die Beklagte ist die katholische Kirchengemeinde St. Gottfried in Münster. Sie ist Eigentümerin der in den Jahren 1952 und 1953 erbauten Kirche St. Gottfried. Im Jahre 2002 gestaltete sie den Altarraum der Kirche um. Die Klägerin ist der Ansicht, durch diese Umgestaltung werde das Urheberrecht ihres im Jahre 1966 verstorbenen Vaters verletzt. Dieser hatte die Kirche entworfen und den Innenraum gestaltet. Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, den ursprünglichen Zustand des Altarraums wiederherzustellen. Das Berufungsgericht hat der Klage stattgegeben. Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Umbaumaßnahmen der Beklagten verstoßen nach Ansicht des Bundesgerichtshofs zwar gegen das urheberrechtliche Änderungsverbot. Auch der Eigentümer eines Werkoriginals darf grundsätzlich keine Änderungen an dem ihm gehörenden Original vornehmen. Der Urheber hat grundsätzlich ein Recht darauf, dass das von ihm geschaffene Werk der Mit- und Nachweilt unverändert erhalten bleibt. Ein derartiger Konflikt zwischen den Belangen des Urhebers und des Eigentümers kann jedoch letztlich nur durch eine Abwägung der jeweils betroffenen Interessen gelöst werden. Im Streitfall wiegt das Interesse der Beklagten an dem Umbau nach Auffassung des Bundesgerichtshofs schwerer als das Erhaltungsinteresse des Urhebers. Die Beklagte hatte dargetan, dass sie sich nur deshalb für die Umgestaltung entschieden habe, um die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils in ihrer Kirche räumlich umzusetzen und die Kirchenbesucher stärker in den Gottesdienst einzubeziehen. Das Berufungsgericht hatte gemeint, die von der Beklagten angeführten Gründe für einen Umbau seien letztlich eine Frage des guten Geschmacks; es hat sie daher nicht als ausschlaggebend angesehen. Die Art und Weise, wie eine Pfarrgemeinde die heilige Messe feiern möchte, habe sich an der Gestaltung des Kirchenraums auszurichten, wenn diese urheberrechtlich geschützt sei. Die Beklagte habe keine beachtlichen Gründe für ihre geänderte Liturgieauffassung aufgeführt. Der Bundesgerichtshof hat diese Auffassung nicht gebilligt. Sie beachtet – so der BGH – nicht hinreichend das kirchliche Selbstbestimmungsrecht und das Grundrecht der Religionsfreiheit der Beklagten. Für die Beurteilung, ob und inwieweit liturgische Gründe für eine Umgestaltung des Kircheninnenraumes bestehen, kommt es auf das Selbstverständnis der Kirchengemeinde an. Hat diese – wie im Streitfall die Beklagte – ihre Glaubensüberzeugung substantiiert und nachvollziehbar dargelegt, hat sich der Staat einer Bewertung dieser Glaubenserkenntnis zu enthalten. Auf Seiten des Urhebers ist – so der BGH – im Rahmen der Interessenabwägung bei einem Werk der Baukunst insbesondere zu berücksichtigen, dass der Urheber eines Bauwerks weiß, dass der Eigentümer das Bauwerk für einen bestimmten Zweck verwenden möchte; er muss daher damit rechnen, dass sich aus wechselnden Bedürfnissen des Eigentümers ein Bedarf nach Veränderungen des Bauwerks ergeben kann. So ist dem Schöpfer einer Kirche bewusst, dass die Kirchengemeinde das Gotteshaus für ihre Gottesdienste nutzen möchte; er muss daher gewärtigen, dass sich wandelnde Überzeugungen hinsichtlich der Gestaltung des Gottesdienstes das Bedürfnis nach einer entsprechenden Umgestaltung des Kircheninnenraums entstehen lassen. Das Interesse des Vaters der Klägerin an der unveränderten Erhaltung seines Werkes musste daher gegenüber dem mit Rücksicht auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht als besonders gewichtig zu bewertenden liturgischen Interesse der Beklagten an dem Umbau des Kircheninnenraums zurücktreten (BGH, Urteil vom 19. März 2008 – I ZR 166/05 – St. Gottfried).

Quelle: Pressemitteilung 56/2008 vom 20.03.2008 unter www.bundesgerichtshof.de

Prozessführungsbefugnis eines Arbeitnehmers für die Bundesagentur für Arbeit

20. März 2008

Nach allgemeinen Grundsätzen des Prozessrechts kann die Prozessführungsbefugnis durch Rechtsgeschäft vom Rechtsträger auf die Prozesspartei übertragen werden, wenn diese ein schutzwürdiges Interesse besitzt, das fremde Recht im eigenen Namen geltend zu machen (sog. Prozessstandschaft). Das gilt auch für Vergütungsansprüche eines Arbeitnehmers, soweit sie wegen der Zahlung von Arbeitslosengeld auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen sind. Im Streitfall hatte der klagende Arbeitnehmer im Anschluss an eine Kündigung des Arbeitgebers für sieben Monate Arbeitslosengeld bezogen. Die Kündigung wurde später durch rechtskräftige Entscheidung des Arbeitsgerichts für unwirksam erklärt. Mit Zustimmung der Bundesagentur klagte der Arbeitnehmer daraufhin gegen den Arbeitgeber auf Zahlung der Arbeitsvergütung in Höhe des gezahlten Arbeitslosengeldes an die Bundesagentur. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Revision des Klägers vor dem Bundesarbeitsgericht hatte Erfolg. Die Klage ist zulässig und begründet. Die Bundesagentur ist Inhaberin der auf sie übergegangenen Vergütungsansprüche. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist sie nicht im Interesse des Klägers verpflichtet, die übergegangenen Ansprüche selbst gegenüber dem Arbeitgeber geltend zu machen. Sie konnte ihre Zustimmung zu einer gerichtlichen Geltendmachung durch den Kläger auch noch nach Klageerhebung wirksam erteilen. Das erforderliche schutzwürdige Interesse des Klägers liegt darin, dass er aufgrund der Erstattung an die Bundesagentur länger oder eher wieder Arbeitslosengeld beziehen kann. Die Vergütungsansprüche beruhen auf dem Annahmeverzug, in den der Arbeitgeber wegen des Ausspruchs der unwirksamen Kündigung gekommen war. Ein Verfall nach tariflichen Ausschlussklauseln ist im Streitfalle nicht eingetreten (BAG, Urteil vom 19. März 2008, 5 AZR 432/07).

Quelle: Pressemitteilung 25/08 vom 19.03.2008 unter www.bundesarbeitsgericht.de 

Wirksamkeit einer Rückzahlungsvereinbarung von Studienkosten

20. März 2008

Der Arbeitnehmer ist Verbraucher iSv. § 13 BGB. Deshalb unterliegen vom Arbeitgeber vorformulierte Vertragsbedingungen gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB auch dann der Kontrolle nach § 307 BGB, wenn sie nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind. Nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB sind Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen entsprechend den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet, Rechte und Pflichten ihrer Vertragspartner möglichst klar und verständlich darzustellen. Der Beklagte begann im Anschluss an seine erfolgreiche Ausbildung bei der Klägerin zum Sozialversicherungsfachwirt im Jahre 2003 ein Studium „Gesundheitsökonomie im Praxisverbund“. Zur Förderung des Studiums schlossen die Parteien einen „Volontariatsvertrag“. Danach erhielt der Beklagte als Darlehen der Klägerin für die restliche Zeit des Studiums einen monatlichen Betrag in Höhe der Vergütung eines Auszubildenden im dritten Ausbildungsjahr sowie einen monatlichen Mietzuschuss in Höhe von 190,00 Euro. Die Gesamtdarlehenssumme sollte in 60 gleichen Monatsraten durch eine Anschlusstätigkeit des Beklagten bei der Klägerin nach erfolgreichem Studienabschluss abgebaut werden. Nachdem der Beklagte sein Studium erfolgreich beendet hatte, bot ihm die Klägerin eine Tätigkeit mit der Vergütung eines Sozialversicherungsfachwirts an. Das lehnte der Beklagte ab. Die Klägerin verlangt deswegen die Rückzahlung des Darlehens in Höhe von 23.921,85 Euro. Der Neunte Senat hat ebenso wie das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rückzahlung des gewährten Darlehens. Die Darlehensvereinbarung verletzt das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und benachteiligt den Beklagten unangemessen. Sie ist nicht klar und verständlich. Unklar geblieben ist, ob überhaupt und – wenn ja – mit welcher Tätigkeit und Vergütung der Beklagte eingestellt werden sollte. Eine derartig lückenhafte Vertragsgestaltung eröffnet dem Arbeitgeber ungerechtfertigt weitgehende Entscheidungsspielräume. Deren Auswirkungen sind für den Arbeitnehmer bei Vertragsabschluss nicht vorhersehbar (BAG, Urteil vom 18. März 2008, 9 AZR 186/07)

Quelle: Pressemitteilung 23/08 vom 18.03.2008 unter www.bundesarbeitsgericht.de

Betriebsbedingte Kündigung und freie Unternehmerentscheidung

14. März 2008

Betriebsbedingte Gründe, die eine ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG rechtfertigen, liegen vor, wenn das Beschäftigungsbedürfnis für den Arbeitnehmer entfällt. Das ist ua dann der Fall, wenn der Arbeitgeber den Betrieb reorganisiert und nach dem neuen Konzept die bisherige Tätigkeit nicht mehr anfällt. Die Umgestaltung wird als sog. freie Unternehmerentscheidung von den Gerichten für Arbeitssachen nicht auf ihre organisatorische oder betriebswirtschaftliche Zweckmäßigkeit überprüft, sondern allein darauf, ob sie willkürlich oder sonst missbräuchlich erfolgt ist. Entschließt sich der Arbeitgeber, bisher von Arbeitnehmern ausgeübte Tätigkeiten in Zukunft nicht mehr durch Arbeitnehmer, sondern durch selbständige Unternehmer ausführen zu lassen, so entfällt in diesem Umfang das bisherige Beschäftigungsbedürfnis für Arbeitnehmer und ein betriebsbedingter Kündigungsgrund liegt vor.

Der Kläger im heute vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall war ein sog. „Moskito-Anschläger“. Als „Moskitos“ werden Klapprahmen bezeichnet, die zB an Schaltkästen im öffentlichen Raum befestigt sind und in die Werbeplakate eingespannt werden. Die Beklagte, ein Unternehmen der Städtewerbung, beschäftigte den Kläger bis zur Kündigung im Arbeitsverhältnis. Im Jahre 2004 entschloss sie sich aus wirtschaftlichen Erwägungen, die Anschläge nicht mehr durch eigene Arbeitnehmer anbringen zu lassen. In einem mit dem Betriebsrat vereinbarten Interessenausgleich war festgelegt, dass den als „Moskito-Anschlägern“ beschäftigten Arbeitnehmern gekündigt und eine Beschäftigung als selbständige Unternehmer angeboten werden sollte. Gegen die ihm wie den übrigen Plakatanschlägern nach Abschluss des Interessenausgleichs erklärte fristgerechte Kündigung hat sich der Kläger gewandt.

Die Klage blieb  wie schon in den Vorinstanzen  auch vor dem Bundesarbeitsgericht erfolglos. Die von der Beklagten vorgenommene Neuordnung war nicht willkürlich oder sonst missbräuchlich. Für sie sprachen nachvollziehbare Erwägungen. Die den bisher als Arbeitnehmern beschäftigten „Moskito-Anschlägern“ angebotenen Verträge sind keine Arbeitsverträge. Die nach diesen Verträgen für die Beklagte Tätigen unterliegen nicht dem für Arbeitsverhältnisse kennzeichnenden Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf Zeit, Ort und Art und Weise der Arbeitsleistung. Außerdem müssen sie die Leistungen nicht in Person erbringen, sondern können sie auch durch Dritte (zB Arbeitnehmer) erbringen lassen (BAG, Urteil vom 13. März 2008, 2 AZR 1037/06).

Quelle: Pressemitteilung 22/08 vom 13.03.2008 auf www.bundesarbeitsgericht.de

Außerordentliche Verdachtskündigung – Anhörung des Arbeitnehmers

14. März 2008

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann nicht nur die vollendete Tat, sondern auch der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder sonstigen schweren Pflichtverletzung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung bilden. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung zu den gegen ihn bestehenden Verdachtsmomenten anhören. In der Anhörung muss er den Arbeitnehmer über den erhobenen Vorwurf so unterrichten, dass der Arbeitnehmer dazu Stellung nehmen kann. Dabei sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Weiß der Arbeitnehmer, hinsichtlich welcher Straftaten der Verdacht beim Arbeitgeber besteht, so ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, solange abzuwarten, bis der Arbeitnehmer die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft eingesehen hat.

In dem heute vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall hatte der Arbeitgeber die fristlose Kündigung auf den Verdacht gestützt, der Kläger habe zwischen dem 14. September 2001 und dem 9. April 2003 an den Fahrzeugen von Kolleginnen in elf Fällen die Reifen aufgeschlitzt. Die Kolleginnen hatten sich zuvor kritisch über die Tätigkeit des Klägers geäußert. Auf ihre Strafanzeige hin installierte die Polizei eine Videoüberwachungsanlage. Die Kolleginnen gaben an, den Kläger in der Videoaufzeichnung erkannt zu haben. Bei der Beklagten war zwischen dem 14. und 20. Juli 2003 eine entsprechende Ermittlungsakte eingegangen. Mit Schreiben vom 14. Juli unterrichtete die Beklagte den Kläger über ihre Kündigungsabsicht. Dem Kläger waren die in Betracht kommenden Tattage aus einem früher gegen ihn ergangenen Durchsuchungsbefehl bekannt. Nach Rückkehr aus seinem Urlaub teilte der Kläger der Beklagten am 22. August mit, er wolle sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Daraufhin sprach die Beklagte die außerordentliche Kündigung aus. Der Kläger, der im Strafverfahren rechtskräftig mit der Begründung freigesprochen wurde, zwar glaube das Gericht, dass er die Taten begangen habe, habe jedoch letzte, geringe Zweifel, hat sich gegen die Kündigung gewandt. Er sei zu den Vorwürfen nicht ausreichend angehört worden, weil ihm die Ermittlungsakte nicht vorgelegen habe. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben.

Die Revision der Beklagten vor dem Bundesarbeitsgericht hatte Erfolg. Sie führte zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Gegen den Kläger bestand der schwerwiegende, auf objektive Tatsachen gegründete Verdacht, seine Kolleginnen durch das Aufschlitzen der Reifen vorsätzlich geschädigt zu haben. Dies stellt einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung dar. Der Kläger ist vor der Kündigung in ausreichendem Maße angehört worden. Er wusste, was ihm vorgeworfen wurde und konnte sich zu den Vorwürfen äußern. Die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft brauchte er dazu nicht. Wegen noch unaufgeklärter formeller Fragen wurde der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen (BAG, Urteil vom 13. März 2008, 2 AZR 961/06).

Quelle: Pressemitteilung 21/08 vom 13.03.2008 auf www.bundesarbeitsgericht.de

Lehrereingruppierung in Sachsen bei sich ändernden Schülerzahlen

14. März 2008

Die Eingruppierung von angestellten Lehrern richtet sich nach manchen landesrechtlichen Bestimmungen, darunter auch denen des Freistaats Sachsen, nach den für die beamteten Lehrer geltenden Vorschriften, weil die Einzelarbeitsverträge und/oder der BAT/BAT-O darauf verweisen. Bei einer solchen Vertragslage sind Höhergruppierungen – wie beamtenrechtliche Beförderungen – zusätzlich von einer entsprechenden freien Planstelle und einer Ermessensentscheidung des Dienstherrn/Arbeitgebers abhängig, diese Stelle mit dem Angestellten zu besetzen. Dies gilt auch, wenn die Besoldungsgruppe eines beamteten Lehrers von der Zahl der an der Schule unterrichteten Schüler abhängt und die Grenze zur nächsthöheren Besoldungsgruppe überschritten worden ist. Der Angestellte ist auch in diesem Fall nicht „automatisch“ höhergruppiert. Die eine solche Tarifautomatik vorsehende Vergütungsordnung des BAT/BAT-O gilt für Lehrkräfte nicht; sie ist durch die Übertragung der beamtenrechtlichen Besoldungsgrundsätze ersetzt. Eine entsprechende Berücksichtigung dieser Grundsätze bedeutet aber auch, dass für einen angestellten Lehrer, der in der höheren Vergütungsgruppe (entspr. der Besoldungsgruppe für die höhere Schülerzahl) eingruppiert war, diese nicht dann ohne weiteres wegfällt, wenn die Schülerzahl wieder absinkt. Denn auch gegenüber einem Beamten wäre in einem solchen Fall der Entzug des einmal übertragenen Amtes und eine entsprechende Absenkung der Besoldung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen nicht möglich.

Eine Lehrerin, die in der Nähe von Dresden eine Grundschule mit mehr als 80 Schülern kommissarisch geleitet hatte, wurde im Jahre 1994 nach Durchführung der entsprechenden Beteiligungsverfahren „endgültig zur Schulleiterin bestellt“ und erhielt ab dem 1. Juli 1995 Vergütung nach der VergGr IIa BAT-O (entspr. der für Beamte unter gleichen Bedingungen maßgeblichen Besoldungsgruppe A 13). Im Jahre 1999 sank die Schülerzahl auf unter 80, woraufhin der Lehrerin mitgeteilt wurde, sie sei ab dem 1. August 1999 in der VergGr III BAT-O (entspr. der unter diesen Bedingungen für Neueinstellungen maßgeblichen Besoldungsgruppe A 12) eingruppiert. Im Jahr 2001 stieg die Zahl der Schüler auf 123, im darauffolgenden Jahr auf 125 an. Die Klägerin verlangte vergeblich die Weiterzahlung der Vergütung nach VergGr IIa BAT-O. Diese erhielt sie erst wieder ab dem 1. August 2003. Die Klägerin hat die höhere Vergütung zuletzt für die Zeit vom 1. August 2001 bis zum 31. Juli 2003 verlangt.

Anders als das Arbeitsgericht hat das Landesarbeitsgericht der Klägerin die begehrte Vergütung ab dem 1. August 2001 zuerkannt. Diese Entscheidung hat der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts bestätigt. Die Eingruppierung der Klägerin hat sich durch das Absinken der Schülerzahl der von ihr geleiteten Schule nicht geändert. Die Klägerin ist deshalb immer noch in der VergGr IIa BAT-O eingruppiert und kann die entsprechende Vergütung für den gesamten Streitzeitraum verlangen (BAG, Urteil vom 12. März 2008, 4 AZR 93/07).

Quelle: Pressemitteilung 20/08 vom 12.03.2008 auf www.bundesarbeitsgericht.de