Jura Update

Geschlechtsspezifische Benachteiligung wegen Schwangerschaft bei einer Stellenbesetzung

28. Januar 2011

Bewirbt sich eine schwangere Arbeitnehmerin um eine Stelle und besetzt der Arbeitgeber, dem die Schwangerschaft bekannt ist, diese Stelle mit einem Mann, so hat die Arbeitnehmerin eine geschlechtsspezifische Benachteiligung dann glaubhaft gemacht, wenn sie außer der Schwangerschaft weitere Tatsachen vorträgt, welche eine Benachteiligung wegen ihres Geschlechts vermuten lassen. An diesen weiteren Tatsachenvortrag sind keine strengen Anforderungen zu stellen.

Die Klägerin war bei der Beklagten im Bereich „International Marketing“, dem der „Vicepresident“ E. vorstand, als eine von drei Abteilungsleitern beschäftigt. Im September 2005 wurde die Stelle des E. frei. Die Beklagte besetzte diese mit einem Mann und nicht mit der damals schwangeren Klägerin. Diese begehrt die Zahlung einer Entschädigung wegen Benachteiligung aufgrund ihres Geschlechts. Sie habe die Stelle wegen ihrer Schwangerschaft nicht erhalten. Bei der Bekanntgabe dieser Entscheidung sei sie auf ihre Schwangerschaft angesprochen worden. Die Beklagte behauptet, für die getroffene Auswahl sprächen sachliche Gründe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hatte sie zunächst abgewiesen. Der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen. Er hatte angenommen, die Klägerin habe Tatsachen vorgetragen, die ihre geschlechtsspezifische Benachteiligung nach § 611a Abs. 1 BGB (gültig bis 17. August 2006) vermuten lassen könnten. Bei seiner erneuten Entscheidung hat das Landesarbeitsgericht nach Beweisaufnahme angenommen, dass auch die weiteren von der Klägerin vorgetragenen Tatsachen keine Vermutung für eine Benachteiligung wegen ihres Geschlechts bei der Beförderungsentscheidung begründen. Es hat die Klage wiederum abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erneut aufgehoben und die Sache wieder zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, weil dem Landesarbeitsgericht bei der Tatsachenfeststellung und bei der Verneinung der Vermutung einer Benachteiligung der Klägerin Rechtsfehler unterlaufen sind.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. Januar 2011 – 8 AZR 483/09 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Februar 2009 – 2 Sa 2070/08 -

Pressemitteilung Nr. 11/11 vom 27.01.2011 auf www.bundesarbeitsgericht.de

Schutz behinderter, aber nicht schwerbehinderter Menschen

28. Januar 2011

Nach dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) am 18. August 2006 kann sich auf die Schutzvorschriften für schwerbehinderte Menschen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB IX) nur berufen, wer unter den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fällt. Das sind schwerbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von wenigstens 50 oder die diesen durch ein förmliches Verfahren gleichgestellten Menschen. Wer nicht zu diesem Personenkreis gehört, kann sich zur Abwehr einer Benachteiligung wegen Behinderung ab August 2006 auf das AGG berufen.

Für die Klägerin, die ua. eine Ausbildung zur Gesundheitskauffrau absolviert hat, ist ein GdB von 40 festgestellt worden. Ihrem Antrag auf Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen war nicht entsprochen worden. Die Klägerin bewarb sich bei der Beklagten für die Stelle einer Sekretärin des Chefarztes und wies dabei ausdrücklich auf den bei ihr vorliegenden GdB von 40 hin. Die Beklagte besetzte die Stelle mit einer anderen Bewerberin, ohne die Bestimmungen des SGB IX zum Schutz von schwerbehinderten Menschen beachtet oder die Klägerin zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu haben. Die Klägerin sieht sich als Behinderte benachteiligt und verlangt von der Beklagten eine Entschädigung. Zwar habe sie keinen GdB von 50 und sei auch nicht gleichgestellt worden, Letzteres sei ihr aber für den Bedarfsfall zugesichert worden. Die Beklagte habe bei der Stellenbesetzung mehrfach das SGB IX verletzt, was die Vermutung auslöse, dass bei der Ablehnung der Klägerin ihre Behinderung eine Rolle gespielt habe. Diese Vermutung habe die Beklagte nicht entkräften können.

Die Klage blieb in allen drei Instanzen ohne Erfolg. Die Beklagte musste die Klägerin nicht nach den Vorschriften des SGB IX behandeln, da die Klägerin dafür die persönlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Sie fällt nicht unter den Anwendungsbereich der Schutzvorschriften des SGB IX. Deshalb kann sich die Klägerin auch nicht auf sonstige Verletzungen der Vorschriften des SGB IX berufen. Auch dafür müsste sie schwerbehindert oder den schwer-behinderten Menschen gleichgestellt sein. Allerdings stehen seit August 2006 alle behinderten Menschen unter dem Schutz des AGG. Die Klägerin hat sich jedoch ausschließlich auf die Verletzung von Vorschriften des SGB IX berufen und keine Tatsachen vorgetragen, die die Vermutung für eine Benachteiligung im Sinne des AGG auslösen. Nachdem mit dem AGG die Rahmenrichtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 in deutsches Recht umgesetzt ist, kommt die zwischenzeitlich notwendige entsprechende Anwendung der Regeln des SGB IX auf nicht schwerbehinderte Menschen nicht länger in Betracht.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2. Juni 2009 - 3 Sa 499/09 -

Pressemitteilung Nr. 10/11 vom 27.01.2011 auf www.bundesarbeitsgericht.de

Fortsetzungsverlangen gegenüber dem Betriebserwerber

28. Januar 2011

Ein Arbeitnehmer, der von einem Betriebserwerber die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses verlangt, weil dieser infolge des Betriebsübergangs sein neuer Arbeitgeber ist, hat die Fristen zu beachten, die er für einen Widerspruch gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses einzuhalten hätte.

Die Klägerin hatte seit knapp zehn Jahren ein Arbeitsverhältnis bei der V GmbH in Magdeburg. Die V GmbH führte in einem der Beklagten gehörenden Druckzentrum die „Kleinpaketfertigung“ durch, in der die Klägerin als Arbeiterin beschäftigt war. Die Beklagte kündigte die Verträge mit der V GmbH zum 31. März 2007 und übernahm ab 1. April 2007 die Kleinpaketfertigung in ihrem Druckzentrum „in Eigenregie“. Ab diesem Zeitpunkt setzte die Beklagte Mitarbeiter eines Leiharbeitsunternehmens bei der Kleinpaketfertigung ein; bei der V GmbH verbliebene Mitarbeiter erhielten zum Druckzentrum keinen Zutritt mehr. Nach Freistellung kündigte die V GmbH am 31. Juli 2007 das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristgerecht. Dagegen erhob die Klägerin drei Wochen später Kündigungsschutzklage und machte gegen die Beklagte geltend, wegen eines Betriebsübergangs am 1. April 2007 sei ihr Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt auf die Beklagte übergegangen und von dieser fortzusetzen.

Das Landesarbeitsgericht hatte dem Fortsetzungsverlangen der Klägerin entsprochen. Die Revision der Beklagten blieb ohne Erfolg. Da zu Recht ein Betriebsteilübergang auf die Beklagte festgestellt wurde, muss diese das auf sie übergegangene Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fortsetzen. Der entsprechende Antrag der Klägerin war weder verfristet noch verwirkt. Über einen Betriebsübergang müssen Betriebsveräußerer bzw. Betriebserwerber die betroffenen Arbeitnehmer unterrichten, § 613a Abs. 5 BGB. Erfolgt eine solche Unterrichtung wie vorliegend überhaupt nicht, so beginnt weder die Monatsfrist des § 613a BGB Abs. 6 für den Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses zu laufen, noch eine Frist, binnen derer der Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gegen den Betriebserwerber gerichtet werden muss. Allerdings können die entsprechenden Erklärungen unter Umständen verwirkt sein, wofür aber vorliegend keine Anhaltspunkte vorgetragen worden waren.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. Januar 2011 – 8 AZR 326/09 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20. Januar 2009 – 8 Sa 146/08 -

Pressemitteilung Nr. 9/11 vom 27.01.2011 auf www.bundesarbeitsgericht.de

Keine Anrechnung der Elternzeit auf die Stufenlaufzeit im Entgeltsystem des TVöD

28. Januar 2011

Die Vergütung nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) richtet sich nach der Entgeltgruppe, in die der Arbeitnehmer eingruppiert ist. Innerhalb der Entgeltgruppe bestimmt sich die Höhe der Vergütung nach der Stufe, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist. Der Aufstieg in die nächsthöhere Stufe setzt eine in § 16 Abs. 3 TVöD (VKA) im einzelnen festgelegte Zeit der ununterbrochenen Tätigkeit in derselben Entgeltgruppe voraus. Nach § 17 Abs. 3 Satz 1 TVöD stehen ua. die Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz (MuSchG) einer ununterbrochenen Tätigkeit gleich. Elternzeit wird dagegen bis zu einer Dauer von jeweils fünf Jahren gem. § 17 Abs. 3 Satz 2 TVöD nicht auf die Stufenlaufzeit angerechnet, bei einer längeren Dauer erfolgt nach § 17 Abs. 3 Satz 3 TVöD grundsätzlich eine Herabstufung um eine Stufe. Die Hemmung der Stufenlaufzeit bis zu einer Dauer von jeweils fünf Jahren durch die Inanspruchnahme von Elternzeit ist mit dem Recht der Europäischen Union und dem Grundgesetz vereinbar und führt insbesondere nicht zu einer Geschlechtsdiskriminierung.

Die Klägerin war von 2003 bis 2009 in der Kostümabteilung des von der beklagten Stadt unterhaltenen Theaters tätig und verrichtete Schneiderarbeiten. Vom 28. April 2005 bis zum 29. Februar 2008 nahm sie Elternzeit in Anspruch. Während dieser Elternzeit trat der TVöD am 1. Oktober 2005 in Kraft. Die Klägerin wurde tarifgerecht in die Entgeltgruppe 5 eingruppiert und in dieser Entgeltgruppe der Stufe 2 zugeordnet. Die Beklagte rechnete die Zeit der Elternzeit nicht auf die Stufenlaufzeit an. Die Klägerin ist der Auffassung, sie werde dadurch wegen ihres Geschlechts diskriminiert und begehrt eine Vergütung nach der nächsthöheren Stufe 3 ihrer Entgeltgruppe. Dies hätte eine um etwa 100,00 Euro brutto höhere monatliche Vergütung zur Folge.

Die Klage hatte wie in den Vorinstanzen auch vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Klägerin wird durch die Nichtanrechnung der Elternzeit auf die Stufenlaufzeit des TVöD weder unmittelbar noch mittelbar wegen ihres Geschlechts diskriminiert. Während der Elternzeit ruht das Arbeitsverhältnis unter Suspendierung der wechselseitigen Hauptpflichten. In dieser Zeit wird keine Berufserfahrung gewonnen. Der Stufenaufstieg im Entgeltsystem des TVöD soll aber gerade die durch größere Erfahrung eintretende Verbesserung der Arbeitsleistung honorieren. Der TVöD stellt damit auf ein objektives Kriterium ab, das keinen Bezug zu einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts hat.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. Januar 2011 – 6 AZR 526/09 -
Vorinstanz: LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Juni 2009 – 12 Sa 8/09 -

Pressemitteilung Nr. 8/11 vom 27.01.2011 auf www.bundesarbeitsgericht.de

Nach dem Lebensalter gestaffelte Urlaubsansprüche im Manteltarifvertrag Einzelhandel Nordrhein-Westfalen verstoßen gegen das Verbot der Altersdiskriminierung

28. Januar 2011

Die inzwischen 24jährige Klägerin ist als Einzelhandelskauffrau bei einer Einzelhandelskette beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis unterliegt dem Manteltarifvertrag Einzelhandel Nordrhein-Westfalen, wonach der jährliche Urlaubsanspruch bei einer 6-Tage-Woche nach dem Lebensalter wie folgt gestaffelt ist:

bis zum vollendeten 20. Lebensjahr 30 Urlaubstage
nach dem vollendeten 20. Lebensjahr 32 Urlaubstage
nach dem vollendeten 23. Lebensjahr 34 Urlaubstage
nach dem vollendeten 30. Lebensjahr 36 Urlaubstage

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat wie die Vorinstanz erkannt, dass die Klägerin durch diese Regelung wegen ihres Alters diskriminiert wird. Die nach dem Alter unterscheidende Regelung ist nicht gemäß § 10 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes gerechtfertigt. Es fehlt an einem legitimen Ziel für diese Ungleichbehandlung, das im Tarifvertrag oder in dessen Kontext Anklang gefunden hat. Dies gilt insbesondere für das von der Arbeitgeberseite vorgebrachte Argument, mit der Regelung solle die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefördert werden.

Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass die Klägerin, der nach der tariflichen Regelung nur 34 Urlaubstage zuständen, wegen des Verstoßes gegen das Verbot der Altersdiskriminierung 36 Urlaubstage pro Jahr beanspruchen kann. Diese Angleichung nach oben entgegen der bestehenden tariflichen Regelung folgt aus dem Grundsatz der effektiven und wirksamen Durchsetzung von EU-Rechtsvorgaben.

Die Revision ist zugelassen.

ArbG Wesel, 6 Ca 736/10, Urteil vom 11.08.2010

LAG Düsseldorf, 8 Sa 1274/10, Urteil vom 18.01.2011

Pressemitteilung vom 18.01.2011 des Landesarbeitsgerichtes Düsseldorf auf www.justiz.nrw.de

Betriebliche Altersversorgung – Nichtberücksichtigung von Zeiten eines früheren Arbeitsverhältnisses

26. Januar 2011

Die Deutsche Lufthansa AG ist nicht verpflichtet, die Zeit eines früheren Arbeitsverhältnisses einer Flugbegleiterin bei der fiktiven rückwirkenden Berechnung der sog. Lufthansa Betriebsrente nach § 2 des Tarifvertrags zur Vereinheitlichung der betrieblichen Altersversorgung (TV Vereinheitlichung) iVm. dem Tarifvertrag Lufthansa Betriebsrente für das Kabinenpersonal (TV Betriebsrente) zu berücksichtigen.

Die Deutsche Lufthansa AG war bis Ende 1994 Beteiligte der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL). Die bis zu diesem Zeitpunkt bei der VBL versicherten Arbeitnehmer erhielten eine tarifvertraglich geregelte sog. VBL-gleiche Versorgung. Für danach eingestellte Arbeitnehmer sieht der TV Betriebsrente eine auf Rentenbausteinen basierende Versorgung vor (Lufthansa-Betriebsrente). Am 1. Januar 2002 trat der TV-Vereinheitlichung in Kraft. Nach § 2 TV-Vereinheitlichung werden die VBL-gleich Versicherten nach Maßgabe der weiteren Tarifbestimmungen so gestellt, als hätten sie seit Beginn der VBL-gleichen Versicherungspflicht auf Grund ihres Arbeitsverhältnisses eine Zusage auf Leistungen nach dem TV Betriebsrente erhalten (sog. rückwirkende Einführung der Lufthansa-Betriebsrente). Außerdem wird nach § 3 TV Vereinheitlichung die bis zum 31. Dezember 2001 erworbene unverfallbare Anwartschaft aus der VBL-gleichen Versorgung, die auch Dienstzeiten aus früheren Arbeitsverhältnissen umfasst, festgestellt (sog. Startbaustein). Für die Zeit danach werden Rentenbausteine erworben. Dies ergibt die sog. Garantierente. Im Versorgungsfall sieht der TV Vereinheitlichung eine Vergleichsberechnung der Leistungen nach dem TV Betriebsrente einerseits und der Garantierente andererseits vor. Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf die höhere Rente.

Die Klägerin trat am 22. August 1978 als Flugbegleiterin in die Dienste der beklagten Lufthansa AG. Sie schied nach der Geburt ihres Kindes zum 30. Juni 1987 aus dem Arbeitsverhältnis aus. Seit dem 1. Februar 1992 ist sie wieder als Flugbegleiterin bei der Beklagten beschäftigt. Diese berücksichtigt die Zeit der Beschäftigung der Klägerin von 1978 bis 1987 lediglich bei der Berechnung des Startbausteins, nicht jedoch bei der fiktiven rückwirkenden Berechnung der Lufthansa-Betriebsrente.

Die Vorinstanzen haben die auf Berücksichtigung der früheren Beschäftigungszeit auch bei der Berechnung der Lufthansa-Betriebsrente gerichtete Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. § 2 TV Vereinheitlichung iVm. dem TV Betriebsrente ist dahin auszulegen, dass die Zeit eines früheren Arbeitsverhältnisses nicht zu berücksichtigen ist. Darin liegt keine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts. Die Tarifvertragsparteien waren aufgrund der Tarifautonomie zu der getroffenen Regelung berechtigt.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Januar 2011 - 3 AZR 29/09 -
Vorinstanz: Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 24. September 2008 - 8 Sa 1370/07 -

Pressemitteilung 4/11 vom 19.01.2011 auf www.bundesarbeitsgericht.de

Rückzahlung von Weiterbildungskosten bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Abschluss der Ausbildung – Inhaltskontrolle

20. Januar 2011

Eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, wonach der Arbeitnehmer die vom Arbeitgeber übernommenen Kosten einer Weiterbildung zurückzahlen muss, wenn er auf eigenen Wunsch vor Abschluss der Weiterbildung aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, hält einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB regelmäßig stand, sofern die erfolgreiche Weiterbildung für den Arbeitnehmer von geldwertem Vorteil ist. Dies gilt auch dann, wenn die Weiterbildung nicht kontinuierlich, sondern in mehreren zeitlich voneinander getrennten Ausbildungsabschnitten erfolgt, sofern die zeitliche Lage der einzelnen Ausbildungsabschnitte den Vorgaben der Weiterbildungseinrichtung entspricht und die vertragliche Vereinbarung dem Arbeitgeber nicht die Möglichkeit eröffnet, allein nach seinen Interessen die Teilnahme an den jeweiligen Ausbildungsabschnitten festzulegen. Offen bleibt, ob und inwieweit die bei Abschluss der Rückzahlungsvereinbarung absehbare Länge der Unterbrechungen zwischen den Ausbildungsabschnitten einer Angemessenheitskontrolle unterliegt.

Der Beklagte war seit Februar 2002 als Bankkaufmann bei dem klagenden Sparkassen-Zweckverband beschäftigt. Im Juni 2006 schlossen die Parteien eine Lehrgangsvereinbarung über die Teilnahme des Beklagten an einem Studiengang des Bayerischen Sparkassen- und Giroverbandes zum Sparkassenbetriebswirt. Danach hat der Kläger die Lehrgangs- und Prüfungsgebühren zu tragen und den Beklagten zur Teilnahme an dem Studiengang unter Fortzahlung der Vergütung freizustellen; der Beklagte hat dem Kläger diese Leistungen zu erstatten, wenn er auf eigenen Wunsch vor dem Abschluss der Ausbildung aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Der Beklagte absolvierte in einem Zeitraum von ca. acht Monaten zwei jeweils ca. fünfwöchige Ausbildungsabschnitte. Danach kündigte er das Arbeitsverhältnis und nahm an dem zeitlich später liegenden dritten und letzten Ausbildungsabschnitt nicht mehr teil.

Das Landesarbeitsgericht hat der auf Rückzahlung der Weiterbildungskosten gerichteten Klage im wesentlichen stattgegeben. Die Revision des Beklagten blieb vor dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts erfolglos. Der Kläger hat Anspruch auf Rückzahlung der Weiterbildungskosten. Die Rückzahlungsklausel ist wirksam Durch die Bindung an das Arbeitsverhältnis bis zum Abschluss des von dem Sparkassen- und Giroverband vorgegebenen Studiengangs zum Sparkassenbetriebswirt wird der Beklagte nicht unangemessen benachteiligt iSv. § 307 Abs. 1 BGB.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Januar 2011 – 3 AZR 621/08 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 8. Mai 2008 – 2 Sa 9/08 -

Pressemitteilung 3/11 vom 19.01.2011 auf www.bundesarbeitsgericht.de

ERA-TV und Mitbestimmung des Betriebsrats bei Ein- und Umgruppierungen

18. Januar 2011

Der Entgeltrahmen-Tarifvertrag für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg vom 16. September 2003 (ERA-TV) hat das gesetzliche Beteiligungsrecht des Betriebsrats bei Ein- und Umgruppierungen nicht beseitigt.

Gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hat der Arbeitgeber in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern den Betriebsrat vor jeder Ein- und Umgruppierung zu unterrichten und seine Zustimmung einzuholen. Das gesetzliche Beteiligungsrecht sichert die rechtliche Mitbeurteilung des Betriebsrats bei der vom Arbeitgeber vorzunehmenden Zuordnung des einzelnen Arbeitnehmers zu einer bestimmten Entgeltgruppe einer im Betrieb geltenden Vergütungsordnung. Nach § 9.1 ERA-TV hat der Beschäftigte Anspruch auf das Grundentgelt derjenigen Entgeltgruppe, die der Einstufung der ausgeführten Arbeitsaufgabe entspricht. Bewertung und Einstufung der Arbeitsaufgabe erfolgen nach einem im ERA-TV festgelegten Verfahren. Hierbei besteht kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Nach § 9.2 ERA-TV teilt der Arbeitgeber dem Beschäftigten und dem Betriebsrat die sich aufgrund der Einstufung der Arbeitsaufgabe ergebende Entgeltgruppe schriftlich mit. In der dazu erforderlichen Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer Entgeltgruppe des ERA-TV liegt die nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Ein- oder Umgruppierung. Diese vom Arbeitgeber vorzunehmende Zuordnung entfällt nicht deshalb, weil die Einstufung der Arbeitsaufgabe in dem tariflich geregelten Verfahren verbindlich festgelegt wird. Insbesondere bleibt zu prüfen, ob die mitgeteilte Entgeltgruppe der bewerteten und eingestuften Arbeitsaufgabe entspricht und ob der Arbeitnehmer die Arbeitsaufgabe tatsächlich ausführt. Hierbei ist der Betriebsrat zu beteiligen. Sein Mitbestimmungsrecht wird auch durch das im ERA-TV geregelte Reklamationsverfahren nicht suspendiert.

Anders als die Vorinstanzen hat der Siebte Senat daher dem auf die Feststellung seines Beteiligungsrechts bei der Ein- und Umgruppierung von Arbeitnehmern in den ERA-TV gerichteten Antrag eines Betriebsrats stattgegeben.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 12. Januar 2011 – 7 ABR 34/09 -
Vorinstanz: LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. Januar 2009 – 5 TaBV 2/08 -


Ebenfalls am 12. Januar 2011 hat der Senat in einem ähnlich gelagerten Verfahren (- 7 ABR 35/09 -) die Arbeitgeberin auf Antrag des Betriebsrats verpflichtet, dessen Zustimmung zur Eingruppierung eines Arbeitnehmers nach dem ERA-TV einzuholen.

Pressemitteilung 02/11 vom 12.01.2011 auf www.bundesarbeitsgericht.de

Vorbehaltlose Erstattung des sich aus einer Betriebskostenabrechnung ergebenden Guthabens ist kein Schuldanerkenntnis

13. Januar 2011

Der Bundesgerichtshof hat heute entschieden, dass die vorbehaltlose Erstattung eines aus einer Betriebskostenabrechnung folgenden Guthabens der Mieter für sich genommen kein deklaratorisches Schuldanerkenntnis des Vermieters darstellt.

Die Kläger sind Mieter einer Wohnung der Beklagten in Gütersloh. Der Mietvertrag sieht die Umlage der Betriebskosten, darunter auch Heiz- und Warmwasserkosten, sowie monatliche Vorauszahlungen vor. Im Juli 2007 erteilte die Beklagte den Klägern die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2006. Die Abrechnung ergab ein Guthaben der Kläger in Höhe von 185,96 €, welches die Beklagte im August 2007 dem bei ihr geführten Mietkonto der Kläger gutschrieb. Nach Erteilung der Betriebskostenabrechnung fiel der Beklagten auf, dass bei der Abrechnung der Heizkosten versehentlich 8.200 Liter Heizöl im Wert von 4.613,32 € unberücksichtigt geblieben waren. Diesen Umstand teilte die Beklagte den Klägern durch Schreiben vom 11. Dezember 2007 mit und übersandte eine korrigierte Abrechnung, aus der sich ein um 138,08 € geringeres Guthaben ergab. Diesen Differenzbetrag buchte die Beklagte aufgrund der ihr erteilten Einzugsermächtigung im Januar 2008 vom Girokonto der Kläger ab. Die Kläger begehren die Rückzahlung des abgebuchten Betrages. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das Landgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen.

Die dagegen gerichtete Revision der Kläger blieb ohne Erfolg. Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass der Vermieter von Wohnraum eine Betriebskostenabrechnung auch dann nachträglich – innerhalb der Abrechnungsfrist gemäß § 556 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 BGB* – zu Lasten der Mieter korrigieren kann, wenn er das sich aus der ursprünglichen, fehlerhaften Abrechnung ergebende Guthaben vorbehaltlos dem Mietkonto gutgeschrieben hat. Die durch das Mietrechtsreformgesetz eingeführten Abrechnungs- und Einwendungsfristen des § 556 Abs. 3 BGB* für Betriebskosten gewährleisten, dass die Mietvertragsparteien eines Wohnraummietverhältnisses nach überschaubarer Zeit Klarheit über ihre Verpflichtungen aus einem abgeschlossenen Abrechnungszeitraum erlangen. Angesichts dessen rechtfertigt die bloße Zahlung des sich aus der Abrechnung ergebenden Guthabens noch nicht die Annahme eines Schuldanerkenntnisses, das den in der Abrechnung genannten Endbetrag verbindlich werden lässt.

Urteil vom 12. Januar 2011 – VIII ZR 296/09

Amtsgericht Gütersloh – Urteil vom 5. Dezember 2008 – 10 C 869/08
Landgericht Bielefeld – Urteil vom 23. September 2009 – 22 S 46/09

Karlsruhe, den 12. Januar 2011

*§ 556 BGB: Vereinbarungen über Betriebskosten

(1) …

(3) Über die Vorauszahlungen für Betriebskosten ist jährlich abzurechnen; dabei ist der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit zu beachten. Die Abrechnung ist dem Mieter spätestens bis zum Ablauf des zwölften Monats nach Ende des Abrechnungszeitraums mitzuteilen. Nach Ablauf dieser Frist ist die Geltendmachung einer Nachforderung durch den Vermieter ausgeschlossen, es sei denn, der Vermieter hat die verspätete Geltendmachung nicht zu vertreten. Der Vermieter ist zu Teilabrechnungen nicht verpflichtet. Einwendungen gegen die Abrechnung hat der Mieter dem Vermieter spätestens bis zum Ablauf des zwölften Monats nach Zugang der Abrechnung mitzuteilen. Nach Ablauf dieser Frist kann der Mieter Einwendungen nicht mehr geltend machen, es sei denn, der Mieter hat die verspätete Geltendmachung nicht zu vertreten.

(4) …

Quelle: Pressemitteilung Nr. 4/2011 vom 12.01.2011 auf www.bundesgerichtshof.de

Unterweisung zum Arbeitsschutz

12. Januar 2011

Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen. Hierzu gehört auch die durch § 12 ArbSchG dem Arbeitgeber auferlegte Verpflichtung, die Beschäftigten über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu unterweisen. Einigen sich die Betriebsparteien nicht über Art und Inhalt der Unterweisung, hat das die Einigungsstelle zu regeln. Hierbei hat sie die Erkenntnisse einer Gefährdungsanalyse (§ 5 ArbSchG) zu berücksichtigen und die konkrete arbeitsplatz- oder aufgabenbezogene Unterweisung daran auszurichten. Sie kann sich nicht darauf beschränken, allgemeine Bestimmungen über die Unterweisung zu Gefahren am Arbeitsplatz aufzustellen.

Eine zum Regelungsgegenstand „Umsetzung der Anforderungen des Arbeitsschutzes“ eingesetzte Einigungsstelle hatte durch Teilspruch allgemeine Regelungen zur Unterweisung der Beschäftigten über die Belastungen bei der Arbeit, den richtigen Umgang mit Arbeitsmitteln und die Gestaltung der Arbeitsorganisation getroffen. Eine Gefährdungsbeurteilung lag zum Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht vor. Das hat die Arbeitgeberin beanstandet und den Teilspruch angefochten.

Das Landesarbeitsgericht hat die Unwirksamkeit des Teilspruchs festgestellt. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betriebsrats hatte keinen Erfolg. Die Einigungsstelle ist ihrem Regelungsauftrag nicht nachgekommen. Ihr Spruch ist unvollständig. Es fehlte an konkreten Anweisungen und Erläuterungen, die eigens auf den Arbeitsplatz oder den Aufgabenbereich der Beschäftigten ausgerichtet waren.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 1 ABR 104/09 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Februar 2009 – 1 TaBV 1871/08 -

Pressemitteilung 1/11 des BAG vom 11.01.2011 auf www.bundesarbeitsgericht.de